Lied des Tages ♫

Heute flieg ich nach Chicago:)

22. August 2011
Ausmisten, Drüberstolpern

Ich mach mein Zimmer neu

Chorfreizeit mit dem Mädchen, in das mein bester Freund 10 Jahre später verliebt war.
Derselbe beste Freund, über den ich in meinem ersten Tagebuch schreibe, weil er mich dazu bringt mit meiner ersten Liebe Schluss zu machen. „Und wenn in 3 Wochen alles anders ist, er mich nicht liebt, war dann alles umsonst?“. Hätte ich damals schon gewusst, dass wir uns jetzt so unglaublich nahe sind, dass wir nach einer gemeinsamen Wohnung suchen.
Und werde ich in 10 Jahren über genau diese Pläne lachen?
So viele Bilder aus dem Winterurlaub, jedes Jahr  haben ich und dieses Mädchen das größte Iglu im ganzen Dorf gebaut. Letzte Woche hat sie mich auf Facebook geaddet.
Ein kleiner Zettel mit einer Internetadresse, auf der ich ihm meine Liebe gestehe. Er hat die Seite wohl nie gesehen. Direkt daneben ein Brief zu unserem 1-Jährigen Zusammensein. Und ein Foto, auf dem ich einen Anderen küsse.
„African Jigsaw“, „Hoffnungsland“, ich wusste garnicht, dass diese Noten immernoch irgendwo versteckt waren. Ein bisschen Vergangenheit in meinen Händen.
Ein paar Seiten in einem Buch, auf die meine Träume gekritzelt sind. 5 gefüllte Hefte mit Detektivfällen von „Tina und Tinka“. Wir waren um die 10 Jahre alt, glaube ich.  Ob diese Art von Kreativität wohl immer noch irgendwo in mir schlummert? „Tina“ gibt es jedenfalls immer noch in meinem Leben. Aber wir reden jetzt mehr über unseren Mathelehrer oder nervige Mitschüler, als über verdächtige Nachbarshunde. Und am Wochenende gehen wir Snowboarden, mit dem Jungen, dem ich auf dieser Internetseite meine Liebe gestand und dem Anderen wegen dem ich mich von ihm trennte.

Der Abschiedsbrief von dieser einen tollsten Freundin. „Ich habe meine Seite gewählt, und sie ist leider bei meinen anderen Freunden“. Ich grüße sie in der Schule,  „soulsisters“ sind wir schon lange nicht mehr.

Fotos von den Orten, mit denen ich jetzt ganz andere Erinnerungen verbinde. Damals war ich dort mit dem kleinen aus meiner Schule, der jetzt Abitur macht. Sein überhebliches Grinsen sah schon genauso aus, als er 11 war.

Lustigää Bildergeschichten von meinen Freunden aus der 8.Klasse. Unter einem Bild von der Braunhaarigen steht „Ich weiß nicht was ich ohne sie machen würde.“ Ich hab dich immer noch lieb Jule, weißt du?
Dazu der Soundtrack von dem alten MP3-Player. Und Zeitmaschinen gibt es doch.

Ich mache mein Zimmer neu, und damit hört hier eine  Zeit auf, wird in diese Kiste gestellt und ist von jetzt an nur noch Erinnerung und nicht mehr mein Leben.
 Eine neue fängt an. Wahrscheinlich die letzte hier, in diesem Raum und diesem Haus.

3
16. August 2011
Vom Tischabräumen und dem kleinen Teufel in mir

Immer wenn ich mit meiner Familie am Esstisch sitze und sich die Teller langsam leeren schleicht sich etwas langsam in meine Gedanken. Ich fange dann an gegen mich selbst zu argumentieren, manchmal so endlos lange, dass es mich richtig schlecht gelaunt macht.
Die eine Seite in mir, das bin ich, wie ich gerne sein würde, will selbstverständlich den Spagetthitopf und die leere Wasserflasche nehmen, sie runter in die Küche tragen und dann dort verstauen, wo sie hingehören. Am Besten noch den Topf auswaschen und die Flasche mit neuem Wasser füllen. Das will ich. Irgendwie schon.
Der andere Teil in meinem Kopf, ich nenne ihn den kleinen Teufel, will das überhaupt nicht. Dieses ich will sich der Bequemlichkeit hingeben, ohne ein Wort in mein Zimmer verschwinden und hoffen, dass Mama und Papa nichts sagen.
Dieses ich will sich dann auch gleich noch Eis aus dem Kühlschrank holen (oder noch besser: von meinem Bruder hoch bringen lassen), sich während dem Fernsehschauen damit vollfressen und danach Tina eine SMS schreiben, dass ich zum Joggen heute doch zu müde bin.
Dieser Teufel regt sich auf über Leute, die im Grunde genauso sind, wie ich selbst.
Er ist unfair zu den Leuten, die ich am liebsten hab. Er zieht meine Mundwinkel nach unten, klaut meine Konzentration, ist neidisch und ermüdend und verhindert all das, was mich doch glücklich macht.
An vergammelten Tagen will ich ihn aus meinem Ohr ziehen, in einen Käfig sperren und ihn auslachen, wenn er da nichtmehr heraus kommt.

Aber meistens liege ich grade zu bequem in meinem Bett um mir die Mühe zu machen, den Teufel in meinem Kopf überhaupt zu suchen. Ich bleib lieber liegen und gebe mich meiner schlechten Laune hin.
Denn ich glaube im Grunde weiß ich, dass der Teufel rote Haare, einen großen Kopf und x-Beine hat.
Und mir irgendwie auch sonst ziemlich ähnlich sieht.

08. August 2011
america rewinded

 

Amerika. Im Nachhinein kann ich gar nicht genau sagen, warum ich einen Austausch in die USA machen wollte. Weil ich wissen wollte, ob High Schools wirklich so wie in Filmen sind? Um Englisch zu lernen? Weil mein Leben zuhause langweilig war? Wahrscheinlich von allem ein bisschen.
Die Idee schlich sich schon länger in meinem Kopf herum, aber es fing erst an ein Wunsch zu werden, als ich eines Abends von Basel nach Flensburg im Nachtzug lag und nach draussen geschaut habe. In der Abendsonne sind Wiesen und Bäume vorbeigeflogen und ich hab mir irgendwie gedacht, dass ich etwas aus meinem Leben machen muss. Dass ich nicht einfach schauen will, was kommt, sondern dass ich es selbst in die Hand nehmen will, aus meinem Leben ein wunderbares Abenteuer zu machen.
Ich wollte mich erstmal nur informieren, habe dann eine Organisation gefunden und meine Beraterin dort hat mir irgendwie Mut gemacht. Also hab ich mich mal angemeldet, man kann ja immer noch absagen, hab ich gedacht. In den nächsten Monaten habe ich Berge  von Formularen ausgefüllt, Reisepässe beantragt, Koffer gekauft und gearbeitet wie verrückt. Ich hatte viel zu tun, aber eigentlich habe ich mich sonst ganz normal gefühlt. Amerika war immer noch ganz ganz weit weg. Dann irgendwann im Dezember kam der Brief dass ich in 3 Wochen losfliege, aber so wirklich realisiert hab ich das damals immer noch nicht.
Und plötzlich fand ich mich wieder, wie ich  in Atlanta am Flughafen über die Grenzlinie lief und da so ein großes Schild stand „Welcome to the United States of America“. Wow. Und was mach ich jetzt?

Ich kam nach Mississippi in ein kleines Städtchen ganz im Süden. Erstmal war ich total begeistert von Supermärkten, Autos, Golfplätzen, Restaurants, Essen, der Kirche, Klamotten, natürlich dem fääättään Südstaatenakzent, aber auch geschockt über die Armut von manchen Leuten dort.
Dafür, dass man immer denkt Amerika und Deutschland würden sich so gleichen, habe ich wirklich viele besondere, ungewöhnliche und manchmal gewöhnungsbedürftige Dinge gesehen. Auf ausgestopfte Enten an den Wänden stand ich am Anfang nicht so, aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass Jagen zum Beispiel einfach ein ganz normaler Teil dieser fremden und doch irgendwie vertrauten Kultur ist. Ich sog begierig alles auf, was es zu erfahren und erleben gab. Über jede Besonderheit, die ich stolperte versuchte ich möglichst viel heraus zu finden. So erfuhr ich zum Beispiel, dass die Amerikaner ihren Rasen bei langer Trockenheit mit grüner Farbe besprühen oder dass ein Hamburger durchaus zu einem richtig schicken Essen  gehören kann. Ich war begeistert von der amerikanischen Kultur, und der Denkweise von den Leuten, die teilweise wirklich wie in Hollywoodfilmen waren.
 
Doch als sich die Anfangsbegeisterung gelegt hatte, merkte ich plötzlich, dass ich eigentlich ganz alleine bin.
Ich hatte so starkes Heimweh, dass ich oft einfach nicht aufhören konnte zu weinen. Ich bin dann aus der Schule nach Hause und saß dort den ganzen Tag alleine, hab Fernseh geschaut, gegessen und mich in meinem Elend gewälzt. Das schlimme war einfach, dass ich niemanden hatte, mit dem ich reden konnte. Ich war das nicht gewohnt, dass überhaupt niemand für mich da war.
Meine Gastfamilie war kaum zu Hause und so richtig stimmte da die Chemie auch nicht. Und Freunde… naja, ich hatte einfach keine, nach so einer kurzen Zeit. Es gab ein paar aus Kirche und Schule mit denen ich mich ganz gut verstanden habe, die auch immer gesagt haben, dass wir ja am Mittag was machen können, aber dann hatten sie doch keine Zeit oder haben erst gar nicht angerufen.
Die Schule brachte mir ein bisschen Abwechslung, aber so wie in den Filmen, war es nur manchmal. Ich hatte an sich coole Fächer wie Psychologie, Theater und Chor und manchmal habe ich sogar etwas gelernt aber generell war alles ziemlich einfach und schnell langweilig.
Weil ich durch das viele Essen immer dicker wurde, beschloss ich an einem langweiligen, verheulten Tag joggen zu gehen. Ich quälte mich in meine Laufschuhe und rannte los.
Nach dem Laufen fühlte ich mich so total gut. Plötzlich war alles schöner, die Leute waren freundlicher und ich hatte sogar ein bisschen Hoffnung, dass manche davon zu Freunden werden könnten. Ich ging jetzt fast jeden Tag joggen, nicht um abzunehmen, sondern weil es mich glücklich machte.
2 Monate später lief ich in Tennessee meinen ersten Halbmarathon. Ich war unglaublich aufgeregt, aber ich kam als 2. In meiner Gruppe ins Ziel.

Die Schule war nicht mehr so öde, als ich herausfand, dass in meiner Englischklasse ein paar total nette Leute hinter mir saßen, die hatte ich nur nie bemerkt, als ich mich hinter meinem Buch verkrochen, und den ganzen Tag nichts gesagt hatte. Und mein  Politiklehrer war so nett, dass ich in jeder Pause in sein Zimmer ging und doodlejump auf seinem iPad spielte und mich mit ihm über er Fußball und amerikanische Präsidenten unterhielt.

Dann mogelte ich mich irgendwie ins Tennisteam, obwohl ich davor noch nie Tennis gespielt hatte. Durch die vielen Spiele und das Training, war ich nicht mehr so oft zu Hause und hatte auch nicht mehr so viel Heimweh.
Inzwischen hatte ich 2, 3 Freunde mit denen ich ab und zu mal was gemacht habe. Trotzdem saß ich vor allem an den Wochenenden noch oft allein zuhause rum und wusste nichts mit meiner Zeit anzufangen.
Und dann kam Marlee.
Sie saß neben mir in Theater und wir hatten manchmal ein bisschen Smalltalk aber sie war immer zu „cool“, als dass ich sie gefragt hätte was mit ihr zu machen.
Eines Mittags rief sie mich plötzlich an und wir gingen zusammen für ihre Mum einkaufen und fuhren ein bisschen in die Stadt. Ich glaub sie hat mich nur angerufen, weil sie keine Lust hatte alleine zu gehen, aber irgendwie verstanden wir uns verdammt gut.
Von da an machten wir fast jeden Tag was. Sie war mit mir im Tennisteam und nach dem Training ging ich immer noch mit zu ihr, aß mit ihr zu Abend und wir quatschen bis tief in die Nacht. Ich verstand mich so gut mit ihrer ganzen Familie, sie waren genauso wie ich mir meine Gastfamilie immer gewünscht hatte. Marlee und ich wurden mit der Zeit wie Schwestern, wir erledigten alles zusammen, ich übernachtete 5 Nächte die Woche bei ihr, wir gingen am See campen, verbrachten praktisch den ganzen Sommer auf ihrem Motorboot, ihre Familie nahm mich 4 mal mit in den Urlaub und schließlich zog ich ganz zu ihnen. Ihre Mutter Tracy versuchte mir so viel von Amerika zu zeigen, wie es nur ging und ich denke, das waren die besten 4 Monate meines Lebens.
Wegzufliegen war fast genau so schlimm wie der Abschied von meiner Familie damals. Aber nur fast:) Meine „neue“ Gastfamilie brachte mich zum Flughafen, Marlee’s Papa hatte sich sogar extra einen Urlaubstag genommen, weil er „seine jüngste Tochter richtig verabschieden wollte“.

 
3 Wochen nachdem ich wieder zurück nach Deutschland gekommen war,  kam Marlee mich besuchen. Wir hatten eine geniale Zeit und ich bin sicher, dass wir uns noch viele Male sehen.

Jetzt ist es schon fast ein Jahr her, seitdem ich in Amerika war. Unglaublich, wie die Zeit vergeht und was sich alles verändert durch eine halbes Jahr in einem anderen Land. Ich habe mich inzwischen wieder an Deutschland gewöhnt, auch wenn es am Anfang ziemlich schwierig war. Keiner von meinen deutschen Freunden hat so richtig verstanden, warum ich Heimweh habe, nach einem Land in dem es Gemüse nur frittiert gibt und niemand mit dem Fahrrad fährt. Ich habe solange noch Englisch geträumt und fast jeden Tag mit Marlee geskyped. Mein Herz war in Mississippi, ich wollte zurück zu meinem Abenteuer, zum Wasserski fahren und Klippen-springen und auf der Ladefläche von Trucks fahren. Zu Baseballspielen und meiner zweiten Familie und auch zu diesem Jungen, in den ich mich ein klein bisschen verliebt hatte.
Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich wieder an Deutschland und mir wurde klar, dass es hier mindestens genauso viele Abenteuer und wunderbare Leute gibt wie in diesem kleinen Städtchen in Mississippi. Ich komme inzwischen damit klar, dass es jetzt zwei Orte gibt, an denen ich zu Hause bin. Und dass ich auch immer Heimweh haben werde, egal wo ich gerade bin. Über Weihnachten war ich wieder in den USA und im Moment plane ich meine Sommerferien, in denen ich nach Mississippi fliege. Diesmal mit dem besten Jungen der Welt, damit er verstehen kann, warum mir Amerika so ans Herz gewachsen ist.

Wenn ich das alles so lese, hört sich das wie ein Märchen an. Wer hätte am Anfang gedacht, dass mein Abenteuer noch so eine gute Wendung hat?
Die Kultur kennenlernen, selbstständiger werden, eine neue Sprache lernen… All diese Sachen erwartet man zu lernen. Deswegen machen so Viele einen Austausch. Aber letztendlich ist das nur ein winzig kleiner Teil, von dem was man wirklich lernt. Über sich selbst, über Freundschaft und Familie, dass die Welt viel größer ist, als man denkt, darüber wie es ist ganz allein zu sein, sich wieder aufzuraffen und vor allem, dass es so viel mehr als Schule und Zickereien gibt, für das es sich zu leben lohnt.

04. August 2011